Machu Picchu: Auf dem Inka Trail in die verlorene Stadt
42 Kilometer in vier Wandertagen: Wer Machu Picchu in den peruanischen Anden mit allen Sinnen erleben möchte, geht zu Fuß auf dem Inka Trail Richtung Sonnentor. Entspannter ist freilich der Besuch der Weltkultur und Naturerbe-Stadt der UNESCO auf einer Busrundreise.
Von Bettina Less
Es ist sechs Uhr morgens. Wind weht am Sonnentor Inti Punku, die Haare kleben am verschwitzen Gesicht. Zu unseren Füßen liegt Machu Picchu, die sagenumwobene heilige Stätte der Inka – verhüllt von Nebelschwaden, die aus dem Tal hinauf wabern. Diesen Moment haben sich die hier Versammelten hart erkämpft: Die vergangenen vier Tage waren geprägt von stundenlangen Wanderungen durch feuchte Bergregenwälder, entlang an schroff abfallenden Abgründen, durch grüne Täler und vorbei an zahlreichen Inka-Ruinen.
Ein Besuch der UNESCO Weltkultur- und Naturerbe-Stadt Machu Picchu steht für jeden Peru-Touristen fest im Programm. Die meisten kommen gemeinsam mit einer Reisegruppe im Bus, manche folgen jedoch auch dem 42 Kilometer langen Inka Trail. Da seit 2004 Individualwanderungen nicht mehr möglich sind, muss man sich organisierten Touren anschließen. Ob man bereits Erfahrung im Trekking haben sollte, wollen wir wissen. „Nein, nein“, versichert unser lokaler Anbieter, „das kann eigentlich jeder machen, wir haben auch ältere Kunden, alles kein Problem.“ Nur bei der Frage, ob der Weg denn auch mit Turnschuhen zu bewerkstelligen sei, fragt er vorsichtig: „Hast Du auch andere? Nein? Ach, dann geht das schon.“
Wer den Camino del Inca geht, ist nie allein. Mal überholt den Wanderer jemand von hinten, mal zieht er selbst vorbei an müden Mitstreitern, die gerade Wasser trinken, im Rucksack nach Coca-Blättern fischen, Atem schöpfen. Maurice, ein durchtrainierter Holländer, ist einer der wenigen, die am zweiten Tag noch ihr Tempo halten können. Dieser Tag ist der härteste, das hat schon der freundliche Apotheker in Cuzco gesagt und einen Spezialtraubenzucker gegen die Höhenkrankheit Soroche empfohlen. In ungewohnten Höhen über 3.500 Metern wird einigen plötzlich schwindelig, der Magen rumort, manche können sich kaum auf den Beinen halten. Unserer Gruppe fehlt nicht, manche haben nur leichte Kopfschmerzen. Vielleicht wegen des Traubenzuckers. Doch gegen Motivationstiefs hilft der leider auch nicht.
Im Zeitlupentempo schleppen wir uns dem höchsten Pass des Inka Trails entgegen. Der liegt auf 4.200 Metern, über der Baumgrenze. Die Luft ist hier oben merklich dünner, alle fünf Schritte möchte man eine Pause einlegen und Atem holen. Spätestens jetzt wissen wir, warum die Guides Sauerstoff dabei haben. Die Etappe am dritten Tag ist ein wenig leichter und es bleibt Kraft, die am Weg gelegenen Ruinen zu erkunden: Zitadellen und Wachtürme mit klangvollen Namen wie Runquracay, Sayacmarca, Wiñay Huayna. Hier ruhten sich vor vielen Jahrhunderten die Boten aus, die Waren und Nachrichten aus allen Winkeln des Inka-Reiches nach Machu Picchu brachten.
Am letzten Tag wecken die Bergführer die Gruppe um vier Uhr morgens. Noch ist es dunkel, doch die Stimmung ist aufgekratzt. Dann beginnt das Rennen, wer als Erster das Sonnentor erreicht. Hastig stolpern wir los über die grob gepflasterten Steinwege und -stufen, wild tanzen die hellen Punkte der Taschenlampen in einer geschlängelten Linie vor uns herum.
Machu Picchu ist jetzt ganz nah. Dann, gerade, als die Sonne rot über den Bergspitzen aufgeht, ist es soweit: Wir stehen am Sonnentor Inti Punku. Nach und nach geben die Nebelschwaden den Blick frei, bis schließlich ganz Machu Picchu vor uns liegt. Auf weiten grünen Terrassen grasen Lamas. Mehrere tausend Stufen verbinden etwa 200 Gebäude. Ein ausgeklügeltes Bausystem von exakt aufeinander abgestimmten großen Steinquadern machte es den Erbauern möglich, ohne Mörtel mehrstöckige Gebäude zu errichten, die über Jahrhunderte erdbebensicher waren.
Was mag die Funktion dieser mystischen Anlage gewesen sein? Bis heute ist das nicht eindeutig geklärt. Auffällig ist, dass in den meisten Gräbern weibliche Skelette lagen. Manche nehmen daher an, hier wurden dem Sonnengott Inti schöne Jungfrauen geopfert. Andere vermuten, heilige Priesterinnen bewachten den Anbau halluzinogener Pflanzen für bestimmte Zeremonien. Einer neueren Theorie zufolge war Machu Picchu eine Art Kultzentrum, in dem astronomische Studien vorgenommen wurden.
Zumindest weiß man, dass die Stätte im 15. Jahrhundert gebaut wurde, und zwar vom Inkaherrscher Pachacútec Yupanqui. Wahrscheinlich ist auch, dass Machu Picchu den letzten Inka Zuflucht vor den spanischen Eroberern bot, als diese 1532 das Reich eroberten. Den Eindringlingen blieb die Kultstätte der Inka verborgen. Erst 1911 entdeckte der amerikanische Universitätsprofessor Hiram Bingham aus Yale Machu Picchu und legte es frei.
Wir stehen noch am Sonnentor und genießen den Anblick, als uns zum ersten Mal seit vier Tagen Touristen aus der anderen Richtung entgegenkommen – der Inka Trail ist eine Einbahnstraße. Stolz auf die erbrachte Leitung mischt sich mit dem Staunen über die Schönheit der Kultstätte. Hier sieht es wirklich aus, wie man es auch Reisekatalogen kennt. Dieser Moment lässt die Strapazen von vier harten Wandertagen, drei kalten Nächten im Zelt und dem flauen Gefühl im Magen auf 4000 Metern Höhe vergessen. Nur die Knie werde ich wohl noch einige Zeit spüren. Das nächste Mal sollten es wohl doch besser Wanderstiefel sein. Oder ich schließe mit dann einer Rundreisegruppe im Bus an.
Mit Berge & Meer zur Ruinenstadt Machu Piccu reisen