Norwegen: Mit dem Hundeschlitten zum Polarlicht
Im Norden Norwegens lebt Trine mit ihren Huskys. Die Hundeschlittenführerin hat uns auf eine Tour mitgenommen. Ein einmaliges Erlebnis.
Von Thomas Krämer
Das Geheul ist ohrenbetäubend, hallt von den wenigen niedrigen Bäumen zurück. Doch Trine behält den Überblick. Läuft an bettelnden Hundeaugen vorbei, die nur eines signalisieren: Nimm mich mit! Die erfahrene Hundeschlittenführerin gibt dem flehenden Heulen jedoch nicht nach. „Die Tiere müssen zusammenpassen“, erklärt sie und schnappt Tore am Halsband, läuft mit dem schwarzen Vierbeiner zu einem der bereitstehenden Schlitten, bindet ihn mit flinken Fingern in das Zuggeschirr ein.
Trine lebt mit ihren 50 Huskys auf einem Hof im Pasviktal im äußersten Norden Norwegens. Die Grenze zu Russland ist gerade einmal einen Steinwurf entfernt, die Schornsteine der russischen Industriestadt zum Glück einige Kilometer. Und nach Kirkenes, der nächsten und einzigen Stadt in der Region, ist man mit dem Auto eine Stunde unterwegs.
Das Laufen ist ihr Leben
Trines Lebensrhythmus richtet sich nach den Vierbeinern. Und für die bedeutet Lebensrhythmus vor allem eines: Futter. „Die Hunde waren früher mein Hobby, jetzt sind sie meine Passion“, sagt die zähe Norwegerin, die bereits am Finnmarkslopet teilgenommen hat, einem 500 Kilometer langen Hundeschlittenrennen mitten durch die nordische Wildnis.
So weit soll es heute nicht gehen. Die Myrbekkoya, eine kleine Hütte mitten in einem Moorgebiet rund 20 Kilometer entfernt, ist das Ziel. Vorher müssen jedoch die Hunde eingespannt werden. Und das geschieht unter dem lauten Geheul der Tiere. Laufen ist ihr Leben, und wenn sie nur den kleinsten Hinweis bekommen, ihr Leben nun ausleben zu können, dann gibt es für sie kein Halten mehr.
Trine hat mir ein Zuggeschirr in die Hand gedrückt, erklärt, welche Pfote in welche Schlaufe kommt. Also klemme ich mir das zappelnde Fellknäuel zwischen die Beine, streife ihm die Bänder und Schnüre über den Kopf – und beginne noch mal von vorn. Ich habe unten und oben verwechselt. Beim nächsten Hund wird alles anders, sprich: besser. Der Husky hebt seine Pfoten, erleichtert mir damit die Arbeit. Hunde einspannen kann so einfach sein...
„Bleib auf der Bremse und gib‘ sie ganz langsam frei“, gibt Trine mir kurz darauf den Tipp und löst den Knoten, mit dem mein Gefährt am Baum gehalten wird. Ein scharfer Ruck. Mühsam halte ich den Schlitten, stehe mit beiden Beinen auf den Metallhaken, die sich in den Schnee krallen, löse allmählich die Bremse. Dann gleitet der Schlitten über den Schnee, immer hinter Trine her, die schon einige Meter Vorsprung hat.
Die Spur ist zuvor mit dem Schneemobil gemacht worden. „Es gibt zwar Hunde, die den Tiefschnee mögen, aber das Vorankommen ist dann unheimlich mühsam“, sagt die Hundeschlittenführerin. Die Gespanne rauschen über weite Ebenen, die im Sommer wasserdurchtränkte Moore sind, umkurven kleine Kiefern und winden sich durch dicht an dicht stehende Bäume im Wald.
Eine kurze Pause. Kaum ein Laut ist zu hören. Nur das leise Glucksen eines Baches, den die Sonne an einigen Stellen aus seinem eisigen Panzer befreit hat. Nicht einmal die Hunde bellen, sie schnaufen nur. Dampf steigt aus ihren Mäulern, Zeichen für die enorme Leistung, die die Tiere vollbringen. Doch schon nach wenigen Minuten werden sie wieder unruhig, wollen weiter. Und so buddeln wir die Anker aus dem Schnee, nehmen den Fuß von der Bremse, und rasant geht es vorwärts. Zumindest anfangs, bis die Vierpfoter ihre Energie verbraucht haben. Sie scheinen zu wissen, dass die Waldhütte und damit unser Ziel für heute nicht mehr weit ist.
Und endlich das Nordlicht
Nach einer Wegbiegung ist die Myrbekkoya zwischen den Bäumen zu erkennen, andeutungsweise, denn der Schnee liegt meterhoch auf dem Dach. Trine betrachtet das ein wenig sorgenvoll. „Wenn es wärmer wird, wird auch der Schnee schwerer, und dann...“ Also Arbeitsteilung: In der Hütte wird ein wärmendes Feuer gemacht, der Weg freigeschaufelt. Und dann steigt Trine mit einer Schaufel aufs verschneite Dach. Die Arbeit ist schweißtreibend, der Kaffee danach genauso wohlverdient wie das Abendessen am Kamin – natürlich gibt es Rentiergeschnetzeltes.
Am späten Abend tobt sich das Nordlicht am klaren Nachthimmel über der Hütte aus. Mit seinen grünlichen Schleiern lässt es den Schnee unwirklich leuchten. Nicht einmal die Hunde sind mehr zu hören. Nur ein leiser Lufthauch ist zu spüren, in dem sich die Silhouetten der Zweige vor den grünen Lichtvorhängen bewegen. Es ist jetzt still, ganz still.