Albanien: Es muss nicht immer Italien sein
Herrliche Bergwelten und urige Dörfer, unverbaute Küsten mit hübschen Stränden: Albanien ist der wohl letzte weiße Fleck Europas und nicht nur für einen entspannten Badeurlaub eine echte Italien-Alternative. Ein Ausflug auf die andere Seite der Adria.
Von Egmont Strigl
Anflug auf Tirana: Irgendwie kribbelt es schon im Bauch vor der Landung auf die Hauptstadt eines Landes, das man bis heute nicht so recht einzuordnen weiß. Angefangen bei Karl May, der Kara ben Nemsi durch die Schluchten Albaniens reiten ließ und dessen Bewohner als finstere Räuber darstellte, bis zu Halbwahrheiten über Blutrache, Wirtschaftskrisen und Massenfluchten nach Italien zieht sich ein negativer roter Faden durch das Bild Albaniens, diesen letzten weißen Fleck auf Europas Landkarte, über den man kaum etwas weiß.
Es kribbelt also im Bauch, als wir ins Land der legendären Skipetaren eintauchen. Doch anstelle finsterer Schergen empfängt uns ein freundliches „Welcome to Albania“ und ein satter Stau Richtung Innenstadt. Neben uns, vor uns, hinter uns: ein Mercedes, das beliebteste Auto Albaniens. Das Stadthotel ist kein stalinistischer Plattenbau, sondern eine nette Villa mit Stil und Charme. Auch der erste Spaziergang durch Tirana gefällt. Enge Altstadtgassen wechseln sich ab mit breiten Boulevards, pastellfarbene Häuser leuchten im Nachmittagslicht. An vielen Ecken locken kleine Märkte mit prallem Angebot an Obst und Gemüse, überragt von Kirchen und Moscheen. Und die Menschen? Freundlich und zurückhaltend.
Das Kribbeln im Bauch legt sich in einem der vielen Straßencafés bei einem Espresso mit perfekter Crema. Der italienische Einfluss ist unübersehbar, war Albanien doch lange Zeit Kolonie Italiens. Das zeigt sich auch beim Essen, eine schmackhafte Kombination aus beiden Ländern. Die Tische biegen sich unter Gegrilltem und Gemüse, unter Salaten, Schafskäsen und süßen Nachspeisen. Dazu gibt es ordentlichen Wein und jede Menge Raki. Ein guter Einstieg, der schnell mit ersten Klischees aufräumt.
Der italienische Einfluss ist unübersehbar und zeigt sich auch beim Essen
Am nächsten Tag sind wir im schönen Berat, Albaniens Musterbeispiel einer osmanischen Stadt. Selbst der stalinistische Diktator Enver Hoxha, der Historisches sonst als „Last der Vergangenheit“ begriff, unternahm alles, um Berat als Museumsstadt zu erhalten. Entsprechend homogen zeigt sich der Ort, der als UNESCO-Weltkulturerbe geschützt wird und sich entlang des Flusses Osum die Hügel hinaufzieht: weiße Häuser mit hölzernen Balkonen, durchzogen von Treppenwegen und überragt von kleinen Minaretten. Die christliche Bevölkerung lebt oben in der riesigen Burg, einem Gewirr aus Gassen, Steinhäusern und Kirchen und umgeben von Verteidigungsanlagen, die tolle Aussichten auf die umgebenden Berge bieten.
Alte Steine und Kultur gibt es auch in Apollonia, der bedeutendsten Ausgrabungsstätte Albaniens. Säulen und Ruinen unter Olivenbäumen, Grillenzirpen und eine Gruppe junger Leute, die ein Fest feiern. Sie tanzen Sirtaki und lachen nur noch über eines der bizarrsten Kapitel albanischer Geschichte, über das man auch hier auf Schritt und Tritt stolpert. Gemeint sind die unzähligen Bunker, die jeden noch so unbedeutenden Punkt des Landes „schützen“. Aus Beton gegossen, werden diese grauen Pilze die Zeiten überdauern und die Menschen noch lange an den paranoiden Genossen Hoxha erinnern.
Später kämpft sich unser Auto hinter Vlore mühsam die Berge hinauf, die kahlen Hänge werden grüner und die Wälder dichter, als wir den Logara-Nationalpark erreichen. Prunkstück des Parks sind die riesigen Kiefern, in deren Schatten es sich wunderbar wandern lässt. Auf verschiedenen Routen erkunden wir die Bergregion, steigen immer höher hinauf, bis die Wälder in herrliche Blumenwiesen übergehen und die Gipfel fantastische Ausblicke hinunter auf lange Strände und Bergketten bieten, die sich entlang der Küste bis an den Horizont staffeln. Bis Korfu reicht die Albanische Riviera, ein Küstenabschnitt, den man am Mittelmeer so kaum noch findet. Still und einsam liegt er unter der Sonne, fast unverbaut und unbewohnt.
Weite Sandbuchten wechseln sich ab mit Steilküsten, Bergdörfer klammern sich an steile Hänge, endlose Macchia und uralte Olivenhaine prägen das Bild. Dazwischen immer wieder herrliche Badeplätze: kristallklares Wasser, verschwiegene Buchten, ganz für uns allein. Doch wie lange noch? Internationale Konzerne stehen bereits in den Startlöchern, um auch dieses Küstenjuwel zu erschließen. Wie es einmal an der Küste aussehen könnte, kann man bereits rund um Saranda sehen. Apartmenthochhäuser säumen die Bucht, der Ort ist dank der Fähre nach Korfu zum Touristenziel geworden. Einen Teil dieses Zulaufs verdankt Saranda aber auch dem antiken Butrint, das ein Stück weiter südlich liegt. Ruhig und still ist es dort, wo sich Theaterund Tempelreste unter Bäumen verstecken, Mosaiken und Säulenhallen von längst vergangenen Zeiten künden, als Butrint die bedeutendste Metropole Südalbaniens war.
Nicht mehr lange hat man die verschwiegenen Badebuchten ganz für sich allein
Eine andere berühmte Stadt, Gjirokaster, dessen Altstadt ebenfalls als Weltkulturerbe ausgewiesen ist, liegt hinter den Bergen. Sie gilt als eine der schönsten osmanischen Städte des Balkans, ein sehenswertes Ensemble aus Gassen, kleinen Plätzen und mittelalterlichen Palästen, gekrönt von einer großen Burg. Jenseits der Geburtsstadt von Enver Hoxha wird es dann wieder wild und einsam. Wir folgen Drinos und Aoos flussaufwärts und tauchen ein ins albanische Hochgebirge: ein Paradies für Wanderer und Bergsteiger, für Kajakfahrer und Rafter. Was fehlt ist nur die Infrastruktur, denn außer winzigen Dörfern ist diese Grenzregion zu Griechenland Wildnis. Die Straße, schmal und holprig, überwindet Tausende Höhenmeter, es geht hinauf und hinunter, Blicke öffnen sich auf Schluchten, Berge und Wälder.
Und mittendrin das Dorf Voskopoje, einst eine der bedeutendsten Städte des Balkans, in dessen Umgebung sich uralte Kirchen verstecken. Kunstgeschichtliche Juwelen, komplett mit mittelalterlichen Fresken bemalt. Auf dem Weg dorthin wandert man auf gepflasterten Straßen, überquert elegante Bogenbrücken und kommt in einsame Weiler, in denen die Bauern deftiges Essen mit viel Raki hinunterspülen. Wir wandern durch weltvergessene Dörfer, begegnen schwer beladenen Eseln und Ochsenkarren: ein Blick zurück in längst vergangene Zeiten.
Als „shore unknown“, als unbekanntes Gestade, bezeichnete Lord Byron Albanien vor 200 Jahren. Der Spruch gilt noch heute. Ein wunderschönes Land mit großartiger Natur und freundlichen Menschen. Spannendes Neuland, und Bauchkribbeln muss man höchstens aus Vorfreude haben.
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