Costa Rica: Das wahre Gold ist grün
Sir Francis Drake versteckte auf der Halbinsel Osa einen Schatz, dann kamen Goldsucher. Heute finden Urlauber, was inzwischen am kostbarsten ist: unberührte Natur, zufriedene Menschen und magische Momente.
Von Sibylle v. Kamptz
Auf der Isla Violin soll er liegen: der sagenhafte Goldschatz, den der englische Seefahrer Sir Francis Drake 1579 nach einem Überfall auf eine spanische Galeere in Sicherheit bringen wollte. Wenn es nach Enoc Espinoza geht, dann wurde ein Teil davon bereits gefunden. „Ein Mann aus dem Dorf hat vor 40 Jahren Gegenstände aus Gold in unser Dorf Sierpe de Osa gebracht“, erzählt der Bootsführer bei einer Tour durch die Mangroven des Rio Sierpe.
Glücklich sei der Finder jedoch nicht geworden, denn auf Violin sei es nicht geheuer. Lichterschein und unerklärliche Trommelklänge seien manchmal zu hören, bestätigt nickend auch sein Bootsmann Jésus. Nun, wer auf die Halbinsel Osa mit ihren Naturschätzen will, der muss an der geheimnisvollen Insel vorbei. Die Bahia Drake ist das Tor zum Nationalpark Corcovado im noch weitgehend unberührten Südwesten Costa Ricas.
Dabei ist Gold auf die Halbinsel Osa zu bringen in etwa so, wie Eulen nach Athen zu tragen. Die Flüsse Claro, Sirena und Rincon locken bis heute mit ihrem Goldreichtum. Doch von größeren Eingriffen ist die Region zum Glück verschont geblieben. Als für die Ausbeutung der Goldvorkommen großflächig Regenwald abgeholzt werden sollte, schritt die Regierung rechtzeitig ein. Sie erklärte bereits 1975 rund 80 Prozent der Halbinsel zum Nationalpark, und der zählt zu den artenreichsten Ökosystemen Mittelamerikas: Das Gebiet vereint über zwei Prozent der weltweiten Biodiversität. Heute umfassen Naturschutzgebiete und Nationalparks stattliche 25 Prozent des Staatsgebietes, und Costa Rica gilt weltweit als Vorreiter in Sachen Ökotourismus.
Während sich im Norden der Bahia Drake noch einige Lodges wie Adlerhorste an die Hänge ducken, gehört alles südlich von San Pedrillo den Tieren. Pumas und Jaguare, Ameisenbären, Affen und Tapire sind im Nationalpark Corcovado ebenso anzutreffen wie rund 450 Vogel-, 10 000 Insekten- und 700 Baumarten. Auf bis zu achtstündigen Wanderungen, die am besten mit einem fachkundigen Führer unternommen werden, lassen sich 13 Formen des Urwalds bestaunen – vom Tiefland- bis zum Bergregenwald.
Zwei der vier Parkeingänge liegen am Meer: San Pedrillo und La Leona. Der immergrüne Urwald reicht bis an die Küste. Mächtige Pazifikwellen rollen stetig heran und hüllen ihn in einen feinen Gischtnebel. Der breite Strand ist gesäumt von Treibholz, dazwischen schimmern glänzend braun wie Kastanien „Corazones de carey“, die herzförmigen Samenkapseln einer Schlingpflanze. Auch Walknochen liegen herum: Die großen Meeressäuger sind in den Gewässern vor der Küste häufig anzutreffen, ebenso wie die aggressiven Bullenhaie und Krokodile in den Flussmündungen. Als Francis Drake im 16. Jahrhundert mit seinem goldbeladenen Schiff in der Bahia Drake kreuzte, dürfte es nicht sehr viel anders ausgesehen haben.
Das begehrte Edelmetall spielt auch im Leben von Juan Aubillo Guarnes eine große Rolle. „Muy duro“, sehr hart sei die Arbeit als Goldwäscher, die er seit seinem siebten Lebensjahr verrichtet, erklärt er, während er klumpige, rötliche Erde in eine Waschrinne im Bach schaufelt. Der 54-Jährige wohnt abseits des Dorfs Rancho Quemado außerhalb des Nationalparks und hofft, diesen Knochenjob bald an den Nagel hängen zu können. Seit einiger Zeit machen er und seine Frau Rosa bei „Caminos de Osa“ mit. Der Verband „Wege von Osa“ will mit verschiedenen Projekten authentische Einblicke in das Leben der Einheimischen ermöglichen.
Ist diesmal vielleicht ein großes Goldnugget dabei? Steine werden per Hand aussortiert, den Sand wäscht Juan mit kreisenden Bewegungen aus. Tatsächlich: In der Pfannenmitte sammeln sich schimmernde Goldpartikel, insgesamt etwa ein Zehntel Gramm. „Mückenaugen“ nennt er das Ergebnis achselzuckend, reich werde man damit nicht. Doch Juan und Rosa sind reich, davon ist Julieta Chan Blanco überzeugt. Sie hat das Projekts „Caminos de Osa“ lange begleitet und nennt das Ehepaar trotz deren einfacher Lebensumstände „rich poor people“ – reiche arme Leute: „Sie haben genug zu essen, sind zufrieden und nie gestresst.“
Goldsucher legten vor einem halben Jahrhundert auch den Grundstein für die Danta Corcovado Lodge am östlichen Nationalparkrand. Vor mehr als 25 Jahren hat Familie Orviedo auf nachhaltigen Tourismus umgesattelt und mehrere rustikale Unterkünfte gebaut. Ein verschlungener Weg führt durch dichten Wald mit blühenden Helikonien hinauf zu einer 15 Meter hohen Aussichtsplattform. Wie ein grünes Meer liegt einem dort der Regenwald zu Füßen. Wenn im Morgengrauen die Rufe der Brüllaffen zu hören sind, hellrote Aras aus dem Morgendunst auftauchen und die Sonne das Blätterdach des Urwalds in goldenes Licht taucht, dann sind das Momente, die kostbarer sind als alles Gold der Welt.