Lima: Nouvelle Cuisine in Perus Hauptstadt
In Peru erfinden junge Küchenchefs alte Rezepte neu und werden gefeiert wie Rockstars. Vor allem Lima gilt als kulinarische Hochburg.
Von Bärbel Schwertfeger
Was ihr da esst, sind Reste“, frotzelt Palmiro Ocampo, als wir den ersten Löffel der karamelisierten und mit Yukka-Eiscreme gefüllten Limettenschale auf der Zunge zergehen lassen. „Gerettete Limette“ heißt das Dessert des 38-Jährigen in seinem Bistro 1087 im Stadtteil San Isidro. Ocampo ist der junge Wilde unter Perus Küchenchefs: Bei ihm wird alles verwendet.
In Peru landen täglich Unmengen ausgepresster Limetten im Müll. Denn die grünen Zitrusfrüchte sind wichtiger Bestandteil der beiden beliebtesten Spezialitäten des Landes: Ceviche, in Limonensaft und Chili marinierter roher Fisch, und Pisco Sour, ein Cocktail aus Traubenschnaps, Limette, Sirup und Eiweiß. Palmiro Ocampo macht daraus ein kulinarisches Meisterstück.
„Ich liebe es, die Traditionsrezepte und Zutaten zu verändern“, schwärmt Ocampo, der sein Medizinstudium abbrach, um Koch zu werden. „Wir experimentieren mit alten und neuen Techniken und entdecken völlig neue Geschmacksvariationen“, erklärt er. Gnocchi di maduro heißt ein Gericht auf seiner Speisekarte. Wer es bestellt, der bekommt Kochbanane mit geräuchertem Schweinefleisch, Würstchen vom Amazonas und eine Soße aus den Blättern der Calathea-Pflanze.
Jeder fünfte Peruaner ist arm
Ocampo gehört zur „Generation Causa“, und die will nicht nur die peruanische Küche neu erfinden, sondern auch die Welt verbessern. Das Wort Causa steht dabei für ein Traditionsgericht, eine Art gefüllter Kartoffelbrei, aber auch für Ursache. „Wir wollen die Gastronomie als soziales Instrument nutzen“, sagt Ocampo, der mit seiner Nonprofit-Organisation CCORI auch in Gefängnisse und Obdachlosenheime geht und den Insassen seine Art des Kochens beibringt. „Mein Traum ist es, den Hunger in Peru zu stoppen“, sagt er. Zwar hat das südamerikanische Land in den vergangenen Jahren erhebliche wirtschaftliche Fortschritte gemacht, aber es gibt noch immer bittere Armut. „Heute ist jeder fünfte Peruaner arm“, erzählt Ricardo Gálvez, der individuelle Stadtführungen in Lima anbietet. „Vor 24 Jahren war es noch jeder zweite.“
Die Generation Causa ist bereits die vierte Generation von Köchen, die die peruanische Küche revolutioniert. Angefangen hat es in den 1990er-Jahren. Als der Terror des Leuchtenden Pfads endete, kamen viele Köche, die in Gourmetrestaurants in Europa gelernt und gekocht hatten, nach Peru zurück. Sie nutzten ihr Wissen, um alte Gerichte zu verfeinern und neue Rezepte zu kreieren. So entstand die novoandinische Küche, die peruanische Nouvelle Cuisine.
Die Küche ist Perus Nationalstolz
Als prägende Figur gilt Gastón Acurio, der 1994 sein Restaurant Astrid y Gastón in Lima eröffnete und den enormen Reichtum des Landes wiederentdeckte. In Peru wachsen mehr als 3.000 Sorten Kartoffeln, 300 Arten Mais, 80 Varianten Quinoa und 50 unterschiedliche Chilischoten. Beim Besuch des Surqillo-Marktes kommen selbst weitgereiste Touristen ins Staunen und entdecken unzählige Früchte wie die Lúcuma-Frucht, die schon die Inkas als Lebensmittel nutzten und die heute gern in Eiscremes verwendet wird. Acurio lehrte die Peruaner, ihre Küche zu lieben. Heute ist sie der Nationalstolz schlechthin, und die neuen Chefs genießen den Status von Rockstars.
Mit seinen restaurierten Kolonialhäusern, schicken Boutiquen, hippen Bars und der gepflegten Promenade am Pazifik ist Miraflores heute ein angesagtes Viertel, in dem ebenso wie in San Isidro und im Künstlerviertel Barranco immer neue Restaurants eröffnen.
So wie Fransua Robles, der sich in seinem kleinen Restaurant La Picante auf Fisch und Meeresfrüchte konzentriert. Vor den Augen seiner Gäste bereitet der 32-Jährige seine Gerichte frisch zu – alle gewürzt mit Chili. „Mir geht es nicht nur darum, Profit zu machen“, sagt Robles. „Ich will meinen Gästen auch neue kulinarische Erfahrungen ermöglichen.“
Das möchte auch Betsi Albornoz. Ihr Restaurant El Populacho liegt rund 30 Kilometer südlich von Miraflores in Villa Maria del Triunfo, einer der zahlreichen Migrantensiedlungen. Im Wohnhaus ihrer Eltern serviert Betsi seit 2015 Haute Cuisine. „Viele Bewohner arbeiten inzwischen im Zentrum, wohnen aber weiter hier“, erzählt die 33-Jährige. „Wir ermöglichen es ihnen, dieselbe Küche zu genießen wie in Miraflores und das zu günstigen Preisen.“
Auch Betsi, gelernte Köchin mit Auslandserfahrung, experimentiert mit neuen Zutaten. Zu ihrer Ceviche serviert sie neben Süßkartoffeln und Bananenchips auch Cushuro. Die schwarzen Kugeln sind aus Algen, die in über 3.000 Meter Höhe in den Lagunen der Anden wachsen. Sie enthalten viel Vitamin B und Potassium. „Das ist nicht nur gesund, sondern auch ein neues Geschmackserlebnis“, erklärt sie. Selbst Stadtführer Ricardo Gálvez ist begeistert: „Das ist wirklich das beste Ceviche, das ich bisher gegessen habe.“
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