Weltoffenes Toronto: Hotspot für Foodies und Entdecker
Die vor etlichen Jahren noch reichlich verschlafene Großstadt am Lake Ontario hat sich nicht nur zu Kanadas größter Stadt entwickelt, sondern zur quirligen, weltoffenen und kunstsinnigen Genussmetropole.
Von Christian Haas
Hinter den gusseisernen Toren des markanten Backsteingebäudes wartet ein kunterbunter Gemüse-, Obst- und Gourmet-Markt. Am Eingang steht Bruce Bell, dessen Touren hier regelmäßig starten. Teilnehmer dürfen sich auf unterhaltsame und informative Geschichten zur Geschichte und insbesondere zur Kulinarik freuen. „Seit 1803", legt der Historiker los, „verkaufen Ontarios Bauern und Fischer im Saint Lawrence Market ihre Waren - nirgendwo sonst in der Stadt gibt es ein ähnliches Überangebot an Käse-, Wurst-, Back- und Fischspezialitäten." Insgesamt sind es rund 200 Stände.
In einem quirligen Gewimmel verbreiten sich verlockende Düfte. Mal animiert Bruce zu einer Tarte zu greifen, mal am berühmten Ontario-Eiswein zu nippen, einem fruchtig-kalten Dessertgetränk. Dann geht es hinaus ins Old Town Toronto, zur Saint Lawrence Hall und zur 1797 gegründeten Saint James Cathedral, der mit 93 Metern zweithöchsten Kirche Kanadas. „Größere Bekanntheit aber", scherzt Bruce, „dürfte das preisgekrönte Peameal-Bacon-Sandwich der Carousel Bakery haben!" Was auch daran liegt, dass das panierte Brot mit einer Schicht hausgemachtem Pfeffersenf seit Jahrzehnten zu Drehorten in der filmverrückten Stadt geliefert wird. Ein Multiplikator sondergleichen - und eine Erklärung, warum man am Hauptstand im Saint Lawrence Market immer ansteht.
Doch die Wartezeit ist nicht verloren. Bruce erzählt weiter, insbesondere über das friedliche Miteinander von 200 Ethnien in dem Viertel. „Wenn du über die Straßen spazierst, dann hörst du unterschiedlichste Sprachfetzen. Aber alle fühlen sich als Kanadier." Die Vereinten Nationen haben die Drei-Millionen-Stadt, deren Umland noch einmal mindestens so viele Einwohner zählt, zur multikulturellsten aller Metropolen erklärt. Was sich auch in der Kulinarik widerspiegelt. Die wiederum würdigte der „Guide Michelin" 2022 mit einem Toronto-Ableger, womit Ontarios Hauptstadt das erste Reiseziel Kanadas mit einem eigenen Band des Gourmetführers ist. Eine große Sache, fand auch der damalige Bürgermeister John Tory: „Dies stärkt unseren Ruf als Weltdestination für Essen und Kulinarik."
Ein Superimage genießt auch der Distillery District, der von der einst größten Whiskey-Destillerie des britischen Empires zum beliebten Ausgehviertel mutierte: In den Kopfsteinpflaster-Gassen können sich Einheimische wie Touristen auf engem Raum einmal rund um die Welt futtern. Das Vergnügungsviertel ist aber nicht nur wegen seiner Lokale in alten, modern umgebauten Fabrikhäusern, den Musikkneipen und Galerien ein Besuchermagnet. Hier bewundern Touristen die größte Ansammlung von Industriebauten aus viktorianischer Zeit auf nordamerikanischem Boden. Und das nur rund 15 Gehminuten vom Saint Lawrence Market entfernt.
In entgegengesetzter Richtung geht es noch schneller und schwupps befindet man sich in Downtown, dem Epizentrum des aktuellen Bau-Booms, wie Kräne, Bagger und gläserne Skyscraper-Neubauhochhausfassaden bezeugen. Wer dem Lärm in den Hochhausschluchten entfliehen will, biegt ins unterirdische, über 25 Fußgängerpassagenkilometer lange Paralleluniversum „The Path" ab. Oder betritt das Restaurant 20 Victoria zwischen der belebten King Street und der Adelaide Street. Dort kommen Gäste nicht nur zur Ruhe, sondern auch in den Genuss eines extrem guten Services, den der "Michelin" ebenso würdigt wie die Leistung der Chefköchin Julie Hyde. Sie hat es unter die 15 Top-Adressen der Stadt geschafft. Zwei Sterne kann indessen lediglich das in Yorkville gelegene Sushi Masaki Saito aufweisen. Bei der meisterhaft kredenzten über Binchotan gegrillten Shirako sowie den schmelzenden Chutoro-Scheiben unter weißen Trüffeln gibt es eben bei den Gastrokritikern kein Halten mehr. Und nicht nur bei ihnen...
Zum interessanten Kulinarik-Viertel hat sich das unkonventionelle und durch seine viktorianischen Häuser und Hippie-Läden bekanntgewordene Kensington Market entwickelt. Jusep Sim, Gründer von „Chopsticks & Forks", meint: „Die trendigen Bars, Cafés und internationalen Restaurants reichen von zwanglos bis gehoben und umspannen die ganze Welt." Daher lautet das Motto seiner Foodie-Tour: „Acht Länder aus fünf Kontinenten". Den Asia-Part erfüllt das Tibet Café mit, so Jusep, Torontos besten Momos, eine Art gefülltem Teigknödel mit hausgemachter scharfer Soße. Eher tropfende (Braten-)Soße wartet dann bei Fresco Fish & Chips. „Ihr seid nicht in Toronto gewesen, wenn ihr nicht Poutine probiert habt. Die labbrige Pommes-Käse-Spezialität entstand zwar in Québec, hat sich aber zum heimlichen Nationalgericht entwickelt und gehört neben Wild, allen voran Elch, und Ahornsirup zur Landesküche. Und besonders zu Toronto!"
Die Fastfood-Leckerei ist in allen Vierteln erhältlich, wenngleich die sich mitunter stark unterscheiden, auch in puncto Essen. Greektown aka The Danforth etwa kultiviert Bio-, Vegan- und Yoga-Lifestyle, während sich King Street West abends zur Ausgeh- und Theaterzone wandelt, entsprechende Bars inklusive. In West Queen West wiederum reihen sich trendige Läden neben fancy Restaurants, zwischendrin Cafés, Boutiquen, Musikschuppen. Noch angesagter scheint derzeit Ossington zu sein. Im Westen der Queen Street gedeiht eine besonders vielseitige Kunst- und Restaurantszene. Sichtbar wird das auch an jeder Menge Graffiti an den Mauern, was zum Ruf Torontos als weltbeste Street-Art-Stadt beiträgt. Die Kunstszene der Stadt bietet aber auch Schwergewichte, allen voran das Royal Ontario Museum, mit sechs Millionen Exponaten eines der größten Museen Nordamerikas, und die nicht minder bekannte Art Gallery of Ontario.
Den besten Überblick über die Metropole bietet der CN Tower. Das Wahrzeichen ist 553 Meter hoch. Also nichts wie rauf! Adrenalinjunkies haben nur Augen für den „EdgeWalk", bei dem sie mit Seilen verankert auf 356 Metern über dem Boden an der Turmaußenkante entlangspazieren. Alle anderen erfreuen sich einfach so an der 1a-Fernsicht bis zu den Niagarafällen. Selbst bei Bewölkung reicht der Blick hinunter zur schönen Waterfront - samt Hafen, Cafés und Restaurants. Zum Essen muss indessen niemand in den Fahrstuhl, das geht auch im sich langsam drehenden „360 The Restaurant at the CN Tower". Dort speisen Gäste maximal erhaben über der Stadt - und das nicht nur auf geografisch, sondern auch kulinarisch hohem Niveau.